Musste sich Goethe im Jahre 1786 auf seiner italienischen Reise, bei der er Inspirationen für seinen Tasso und andere Schriften schöpfte, auch mit den steuerlichen Konsequenzen seines schöpferischen Tuns befassen? Zugegeben, das Steuerrecht, insbesondere das internationale, war im Vergleich zu dem heutigen unterentwickelt und kann deshalb schlecht für einen Steuerfall herhalten. Jedenfalls war seinerzeit die Frage noch nicht relevant, in welcher Eigenschaft der reisende Dichter verkehrte oder ob er während seines über zwei Jahre dauernden Wirkens in Italien einkommensteuerpflichtig hätte geworden sein können oder dort gar eine Betriebsstätte begründet hätte, denn eine Einkommensteuer gab es schlichtweg nicht. Verfügte man über die ausreichenden Reisemittel wie unser Dichter, trübten zudem keine der heute üblichen administrativen Beschränkungen die Freizügigkeit, sich in einem anderen Land niederzulassen.
Die Sachverhalte aus der damaligen analogen Welt sind durchaus ähnlich mit der Situation vieler digital nomads, also jener Leute, die einige Jahre in anderen Ländern ihren Lebensunterhalt jenseits der klassischen Beschäftigungsstrukturen bestreiten möchten.
Führen die Reisenden einen Arbeitsvertrag in ihrem Gepäck mit, exportieren Unternehmen Produkte, werden deren Dienstleistungen in dem anderen Land verwertet oder ist an ortsfesten Projekten im Ausland mitzuwirken, so kann das (internationale) Steuerecht diese doch juristisch sehr stark formalisierten Sachverhalte einigermaßen abbilden. Hierbei handelt sich stets um tangible und irgendwie kategorisierbare Vorgänge, die sich z.B. in einem Zollcodex oder einer lokalen Industriepolitik verorten und somit auch reglementieren und inventarisieren lassen. Mit einer zunehmend dematerialisierten Wirklichkeit wird jedoch das schwerfällige öffentliche Reglementarium überfordert, das auf diese Herausforderungen mit sonderbaren Zutrittsbarrieren und Abwehrreaktionen antwortet. Für die digital nomads besteht also kein Platz.
Worauf haben wir uns in diesem Zusammenhang nun einzustellen? Dass es zielführender und wirtschaftlich effizienter ist, die Dynamik von Unternehmern und Kreativen in eine Volkswirtschaft einzubinden statt diese abzuweisen oder gar über Anwerbungskampagnen bzw. punktuelle Investitionsanreize in den sensiblen Fachkräftemarkt einzugreifen, scheint sich herumzusprechen.
Der Schlüssel liegt dabei im Verfahren selbst, das, wenn es einmal verschlankt, berechenbar und transparent gestaltet ist, Immigration steuern kann und neben dem erhofften Wissensimport Schwarzarbeit eindämmt bzw. zur Erhöhung des Steueraufkommens beiträgt. Diese klassische Win-win-Situation zwischen den Interessen des Tätigkeitslandes und der darin Tätigen wird bereits von knapp über 20 Ländern aktiv gelebt. Machen wir uns nichts vor, digital nomads fliegen wegen fehlender praktikabler Angebote regelmäßig unterhalb des Radarschirms der Steuerexekutive und gehen ihr damit verloren.
Die Branche ist auch zunehmend relevant. Das zeigen z.B. US-amerikanische Statistiken (https://www.projectuntethered.com/digital-nomad-statistics/), die unter den digital nomads bereits über 15 Millionen Menschen summieren, sofern sie überhaupt korrekt erfasst werden können. 70% von ihnen arbeiten nicht über 40 Wochenstunden, die Hälfte verdient dabei besser als im vormaligen sedentären Job und das bei geringerem beruflichem Kosteninput. Das Zufriedenheitslevel der im Durchschnitt 32 Jahre alten Nomaden liegt mit 81% doppelt so hoch wie bei der Durchschnittsbevölkerung und dürfte bei denjenigen, die sich Kapstadt als Tätigkeitsort aussuchen, wohl die 100%-Marke weit übertreffen.
Aufmerken ließ deshalb die presidential speech vom 10.2.2022, als nun auch Ramaphosa Reformen des festgefahrenen visa application process ankündigte. Sie sollen gestreamlined und modernisiert werden, so sagte er, mit dem Ziel, «to attract skilled immigrants». Über die Erarbeitung von Vergabekriterien sogenannter start up und remote work visa soll eine eigens dafür eingerichtete Stabstelle um ANC Veteran Mavuso Msimang Impulse der Modernität setzen helfen und den immer wieder aufgeschobenen Wirtschaftsaufschwung boostern. Man reibt sich die Augen! Und das erst recht, als selbiger Msimang zu denjenigen gehört, die eine konsequente Durchsetzung der sogenannten «step aside rule» befürworten, zu der sich der skandalgeplagte ANC selbst verpflichtet hat und damit nun seinen Präsidenten in Bedrängnis – vielleicht sogar ins Abseits drängt.
Was aus den südafrikanischen Reformankündigungen in dieser politisch brenzligen Lage letztendlich herauskommt, ist nicht abzuschätzen. Eigene Netzrecherchen lassen vermuten, dass für die Zuteilung eines Jahreserwerbsvisums wohl ausreichende Einkünfte oder Aufträge als Inbound-Stream, also im Sinne der Devisenbeschaffung nachzuweisen sind sowie Wohnung und Versicherungsschutz. Nachdem die südafrikanische Visabearbeitung allerdings in jüngster Zeit über lange Strecken durch fehlenden Verwaltungsvollzug das gesamte System blockierte und damit selbst zum Problemfall mutierte, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass eben diese Verwaltung zu einer zügigen Umsetzung der Reformideen in der Lage sein soll. Jedenfalls sind konkrete Eckpunkte über die Ausgestaltungen eines digital nomad permit 4 Monate nach seiner Ankündigung nicht zu ergooglen; es bleibt zu hoffen, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelt. Schade eigentlich, denn die Idee eines solchen Visums ist gut!
Wie sonst würde sie sich anderenorts bereits durchgesetzt haben. So ermöglicht z.B. Deutschland, ausländischen Free-Lancern und Selbständigen aus zuzugsbegrenzten Regionen mehr als 6 Monate (begrenzt auf 3 Jahre) im Schengenraum Fuß zu fassen und dort tätig zu sein. Die Voraussetzungen ähneln sich bei den verschiedenen Ländern, die diese Visa anbieten. Im Vergleich zu den südafrikanischen Vorstellungen soll die zu erbringende Dienstleistung jedoch der lokalen Wirtschaft zugutekommen (Stichpunkt Fachkräftemangel) bzw. diese fördern und, wobei wir beim steuerlichen Thema wären, der Interessent in Deutschland seinen Hauptwohnsitz begründen. Die Tragfähigkeit des Projekts ist über einen Businessplan o.ä. nachzuweisen, Hochschulabschlüsse und Forschungsprojekte wirken sich positiv auf das Genehmigungsverfahren aus. Die Bearbeitungszeit soll zudem binnen 6 Wochen abgeschlossen sein. Nehmen wir z.B. Berlin als Zielort Nr. 1 für Zuziehende. Es hat mehrsprachig ein sogar ohne Hilfe eines Steuerberaters bedienbares Prozedere zur Erlangung eines solchen Visums in Netz gestellt: https://service.berlin.de/dienstleistung/305249/en/ Das Interesse an diesem Verfahren ist bei unseren südafrikanischen Mandanten hoch ausgeprägt, auch wenn in Deutschland keine Zitronen blühen.
Freilich verknüpft sich mit dem steuerlichen Hauptwohnsitz auch die Verpflichtung zum Steuerbeitrag im Zielland. Das ist die eine Seite. Im Sinne jedes DBA-Selbstverständnisses bedeutet das im Umkehrschluss, dass damit Steuersubstrat dem Herkunftsland entzogen wird. Man darf also nur hoffen, dass Südafrika seinem natürlichen und einmaligen Entwicklungspotential nicht selbst den Weg verbaut.
Ihr Anselm Steiner MA, MSc Taxation, Steuerberater, Chartered Tax Advisor © Steiner Tax Consultants Pty. Ltd., Cape Town - www.steiner-taxconsultants.com
Stand 7/2022
Hallo Marcus,
Aus Ihrer Sicht mag diese Idee wünschenwert sein, dass das Visum dazu dieen sollte, in einem Land (steuerlich) ansässig zu sein und im anderen Land einfach zu arbeiten. Denn ohne (Arbeits-)Visum darf man sich ja gerade in einem anderen Land nicht zur Arbeit aufhalten. Läßt einen das andere Land aufgrund der (im Übrigen auch in Deutschland praktizierten Restriktionen) nicht herein (also gibt es kein solches Digital Nomad Visum), geht der Wanderer halt andere Wege und damit der anderen Volkswirtschaft verloren - oder zumindest dem dortigen Finanzamt. In dem Sinne soll ein Visum die Mobilität vereinfachen verhelfen und wertvolle Ressourcen binden (Fachkräftezuzug). Das betrifft in erster Linie also die Mobilität von Selbständigen und nicht von abhängig Beschäftigten.
Allerdings wird…
Hallo Herr Steiner, und vielen Dank für den Artikel! Da ich leider auch nichts zu den genannten Ankündigungen finden konnte, eine kurze Frage dazu an Sie. Für mich bedeutet die Arbeit als "Digitaler Nomade" explizit in einem anderen Land zu arbeiten, als dem der steuerlichen Ansässigkeit / des Hauptwohnsitzes. Und auch für einen Arbeitgeber / Auftraggeber ausserhalb des Landes in dem ich mich aufhalte. Ist das auch die Idee hinter den geplanten Visa? Teilweise liest es sich so, als wolle man damit die Arbeit von Ausländern in Südafrika für südafrikanische Arbeitgeber / Auftraggeber vereinfachen... Viele Grüße Marcus